Über außersinnliche Wahrnehmung

Über außersinnliche Wahrnehmung ist ein Essay von Stanisław Lem. Verfasst wurde es 1974 als Reaktion auf eine Diskussion über Okkultismus im Feuilleton der polnischen Zeitschrift „Literatura“, in der sich auf Lem berufen wurde. Lem leitet seinen Diskussionsbeitrag damit ein, dass er „mit einem Gefühl des Überdrusses“ verfasst worden sei, um anschließend verschiedene Spielarten des Okkultismus auf ihre wissenschaftliche Verifizierbarkeit zu untersuchen. Er kommt zum Fazit, dass das Thema insbesondere von Modeströmungen bestimmt sei und die jeweiligen Phänomene nicht wissenschaftlich belegbar seien. Konkrete unerklärliche Fälle seien möglicherweise stochastisch erklärbar. Sollte je eine wissenschaftliche Deutung einer spezifischen Gruppe von jetzt als „okkult“ geltenden Phänomenen erklärbar werden, dann allenfalls als „ungewollt und nebenbei“ anfallende Erkenntnis einer fortgeschrittenen Wissenschaft.[1]

Inhalt

Eingangs konstatiert Lem, das Thema eigne sich nicht für feuilletonistische Debatten, zum Anlass – den Memoiren eines „Hellsehers“ – äußere er sich ungern. Die okkulten Moden kämen und vergingen unter anderem mit der Möglichkeit ihrer Entlarvung, ein Trend spiritistischer Sitzungen sei so durch die Erfindung von Nachtsichtgeräten beendet worden. Grundsätzlich seien bei der Analyse des Okkulten zwei Gesetzmäßigkeiten erkennbar: einmal eine Orientierung am Zeitgeist, was Phänomene wie auch die Versuche ihrer Erklärung oder Systematisierung angehe. Zweitens: das Verharren im Ankündigen und Verheißen, wobei sich aber nichts davon jemals erfülle. Die Versuche, mittels Gedankenübertragung die Inhalte einer Spielkarte an ein Medium zu übermitteln, zeigen so beispielsweise immer wieder Ergebnisse jenseits dessen, was die Statistik erwarten lässt, jedoch seien solche statistischen Ausreißer bei ausreichend vielen Versuchen vollkommen erwartbar und ihrerseits Teil der Zufallsverteilung.

Im Folgenden versucht Lem eine Quantifizierung des Widerspruchs okkulter Phänomene zu wissenschaftlichen Thesen. So sei Telepathie auf der Ebene der Informationstheorie praktisch unmöglich, da sie eine quasi instantane Informationsgewinnung aus einem hochkomplexen, entfernten System (dem Gehirn) behauptet. Physikalisch sei bereits das Lokalisieren des zu lesenden Gehirns im Raum analog unmöglich. Aus Sicht der Evolutionstheorie ist das Vorhandensein einer solchen Möglichkeit der Informationsübertragung bei einer Spezies ein hocheffizienter Selektionsvorteil, der sich unbedingt durchsetzen würde, was indessen nicht geschah. Die implizit folgende Annahme des Okkultismus, praktisch alle großen und leistungsfähigen wissenschaftlichen Modelle der Welt seien falsch, spitzt Lem noch zu: nachdem verschiedene Okkultisten unterschiedliche (und widersprüchliche) Deutungen ihrer „Fähigkeit“ behaupten, müssten die Modelle sogar auf mehrere verschiedene Weisen falsch sein.

Lem schließt mit der Betrachtung, dass manche als okkult betrachtete Phänomene möglicherweise durchaus einen wissenschaftlich nachprüfbaren Hintergrund haben, dies jedoch in nebensächlicher Art. Er veranschaulicht die These am Beispiel eines hypothetischen Neandertalers, der mit einem spielenden Radio konfrontiert ist. Dieser sieht sich vor der Wahl, von Zauberei oder von kleinen Menschen im Kasten auszugehen. Beide Annahmen sind falsch, erst das Wissen um Elektromagnetismus und den maxwellschen Gleichungen ermöglicht ein tiefergehendes Verständnis des Sachverhalts, bei dem die konkreten Stimmen aus dem Radio indessen eine vollkommene Nebensächlichkeit sind.

Parallelen in anderen Werken

Eine letztendlich ergebnislose Untersuchung okkult scheinender Phänomene aus kriminalistischer wie auch stochastischer Sicht beschreibt auch Lems bereits 1959 erschienener Roman Die Untersuchung.

Ausgaben

Erstausgabe: Über außersinnliche Wahrnehmung. In Essays. Insel Verlag Frankfurt am Main, 1981. ISBN 3-458-04970-3

Einzelnachweise

  1. Stanisław Lem: Über außersinnliche Wahrnehmung. In: Essays (= Werke in Einzelausgaben / Stanisław Lem). 1. - 3. Tsd Auflage. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-458-04970-3, S. 219–246. 
Werke von Stanisław Lem

Science-Fiction-Werke: 1946 Człowiek z Marsa (dt. Der Mensch vom Mars, 1989) | 1951 Astronauci (dt. Der Planet des Todes / Die Astronauten, 1954) | 1955 Obłok Magellana (dt. Gast im Weltraum, 1956) | 1957 Dzienniki gwiazdowe (dt. Sterntagebücher, 1961) | 1959 Eden (dt. Eden, 1960) | 1961 Solaris (dt. Solaris, 1972) | 1961 Pamiętnik znaleziony w wannie (dt. Memoiren, gefunden in der Badewanne, 1974) | 1961 Powrót z gwiazd (dt. Transfer / Rückkehr von den Sternen, 1974) | 1964 Niezwyciężony (dt. Der Unbesiegbare, 1967) | 1964 Bajki robotów (dt. Robotermärchen, 1969) | 1965 Cyberiada (dt. Kyberiade, 1983) | 1968 Opowieści o pilocie Pirxie (dt. Pilot Pirx, 1978) | 1968 Głos Pana (dt. Die Stimme des Herrn, 1981) | 1969 Opowiadania (dt. Nacht und Schimmel, 1972) | 1971 Kongres futurologiczny (dt. Der futurologische Kongreß, 1974) | 1976 Maska (dt. Die Maske, 1978) | 1981 Golem XIV (dt. Also sprach Golem, 1984) | 1982 Wizja Lokalna (dt. Lokaltermin, 1985) | 1986 Pokój na ziemi (dt. Der Flop / Frieden auf Erden, 1986) | 1987 Fiasko (dt. Fiasko, 1986) |

Verschiedene: 1951 Jacht „Paradise” (Theaterstück, mit Roman Hussarski) | 1955 Szpital przemienienia (dt. Die Irrungen des Dr. Stefan T. / Das Hospital der Verklärung, 1959) | 1957 Dialogi (dt. Dialoge, 1980) | 1959 Śledztwo (dt. Die Untersuchung, 1975) | 1964 Summa technologiae (dt. Summa technologiae, 1976) | 1968 Filozofia przypadku (dt. Philosophie des Zufalls, 1983 / 1985) | 1968 Wysoki Zamek (dt. Das Hohe Schloß, 1974) | 1970 Fantastyka i futurologia (dt. Phantastik und Futurologie, 1977 / 1980) | 1971 Doskonała próżnia (dt. Die vollkommene Leere, 1973; Das absolute Vakuum, 1984) | 1973 Wielkość urojona, (dt. Imaginäre Größe, 1976) | 1976 Katar(dt. Der Schnupfen 1976) | 1978 Rozprawy i szkice, (dt.  aufgeteilt auf Sade und die Spieltheorie, 1986; Über außersinnliche Wahrnehmung, 1987; Science-fiction: ein hoffnungsloser Fall mit Ausnahmen, 1987) | 1980 Prowokacja, (dt. Provokation, 1981) | 1983 One Human Minute, (dt. Eine Minute der Menschheit, 1983) | 1983 Weapon Systems of the 21st Century or the Upside Down Evolution, (dt. Waffensysteme des 21. Jahrhunderts, 1983) | 1983 The World as Holocaust, (dt. Das Katastrophenprinzip, 1983) | 1992 Die Vergangenheit der Zukunft | 1996 Tajemnica chińskiego pokoju, (dt. Die Technologiefalle, 2000) | 1999 Bomba megabitowa, (dt. Die Megabit-Bombe, 2003) | 2000 Okamgnienie, (dt. Riskante Konzepte, 2001) | 2003 DyLEMaty | 2006 Rasa drapieżców – Teksty ostatnie | 2009 Sknocony kryminał (posthum) |

Verfilmungen: 1960 Der schweigende Stern | 1963 Ikarie XB 1 | 1968 Solaris | 1972 Solaris | 1974 Die Untersuchung | 1978 Testflug zum Saturn | 2002 Solaris | 2007/2011 Ijon Tichy: Raumpilot

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